„Herr Doktor, mein Körper lässt mich im Stich!“

(Leseprobe #2 aus „Mein Freund, die Angst“ – von Markus Szaszka)

Markus Szaszka "Mein Freund die Angst" RatgeberSeit meiner ersten Panikattacke im Museum war eine Woche vergangen, und ich begann, zu verstehen, dass ich wahrscheinlich doch kein Problem mit meinem Magen hatte. Mittlerweile lokalisierte ich den Ursprung meines Schwindels, der mein primäres Symptom darstellte, in meinem Kopf. Dass ich in erster Linie ängstlich war, bemerkte ich noch immer nicht.

Wie ich heute weiß, entsteht das Schwindelgefühl, das von vielen Angstpatienten wahrgenommen wird, aufgrund von falscher Atmung. Im nervösen, ängstlichen oder panischen Zustand atmen wir schneller und/oder tiefer, was dazu führt, dass wir unseren Körpern zu viel Sauerstoff zuführen und folglich eine zu geringe Konzentration an Kohlendioxid im Blut vorhanden ist. Man muss nicht hyperventilieren – wie es gerne in Filmen gezeigt wird –, komplett außer Atem sein und vor Angst zittern und schwitzen, um ein Schwindelgefühl wegen falscher Atmung zu entwickeln. Bei mir war es so, dass ich mich zu Beginn meiner Erkrankung auf meinen flauen Magen und meine veränderte Wahrnehmung der Außenwelt fokussierte, weshalb mir meine „falsche“ Atmung überhaupt nicht auffiel.

Akut-Tipp Nr. 5: Trotz ihrer übertriebenen Darstellung können wir aus filmischen Panikattacken etwas lernen, und zwar das Atmen in eine Papiertüte – ein Klassiker. Dieser Trick hilft dabei, dem Körper weniger Sauerstoff und mehr Kohlendioxid zuzuführen.

Um dem Schwindel entgegenzuwirken, solltest du auf deine Atmung achten und lernen, wie du sie regulieren kannst, was während der Akut-Phase einer Angsterkrankung schwierig sein kann, da einem sowohl Konzentration als auch Geduld fehlen. Aber es geht nicht darum, von null auf hundert ein Meister der Atemregulation zu werden. Kleine Schritte sind der Schlüssel zum Erfolg. Diese Plattitüde ist nicht nur auf schwindelfreie Atmung anzuwenden, sondern ferner auch auf die Bewältigung deine Angststörung im Allgemeinen. Vor allem Meditation eignet sich, um das achtsame Atmen zu erlernen. Hierzu werde ich im Weiteren noch eine ganze Menge mehr schreiben.

Akut-Tipp Nr. 6: Versuche, bewusst zu atmen. Wenn du lernst, wie das geht, wird das der absolute Bringer für dich sein. Welche Technik dir am meisten liegen wird, kann ich schwer einschätzen, da jeder anders tickt. Aber es schadet nicht, ein paar unterschiedliche Techniken auszuprobieren, um auszuloten, was du mit deiner Atmung alles anstellen kannst und wie sie sich auf deinen Körper und deine Psyche auswirkt.

Mir hat am Anfang vor allem die Atmung in Dreierschritten geholfen. Zweimal kurz beziehungsweise normal ein- und ausatmen, das dritte Mal normal einatmen und möglichst lange ausatmen – etwa drei- bis fünfmal so lange, wie das Einatmen gedauert hat. Das kann beliebig oft wiederholt werden. Optimalerweise durch die Nase einatmen und durch den Mund wieder ausatmen, gerne auch so, dass du die Ausatmung hörst. Zähl die Dreierschritte mit, damit du deinen Fokus so gut es geht und allumfassend auf deine Atmung richten kannst. Und bitte nach Möglichkeit in den Bauch atmen und nicht in die Brust. Mit ein bisschen Übung wirst du merken, dass vermeintlich banales Atmen, das gerne belächelt und unterschätzt wird, so einiges draufhat.

Angst, Panikattacken und Derealisation

Markus Szaszka "Mein Freund die Angst" RatgeberAkut-Hinweis Nr. 7: Auch der Begriff der „Derealisation” könnte dir dabei helfen, ein besseres Verständnis für deine Situation zu entwickeln und einen ersten Schritt in Richtung Genesung zu machen. Denn vergessen wir nicht: Ein unbewusstes Verhältnis zur eigenen Psyche, zum eigenen Körper und zu unserer Umwelt kann Ängste und ein Gefühl von Beklommenheit auslösen.

Nicht bei jedem, der eine Angststörung und Panikattacken hat, muss auch das Derealisationserleben einsetzen. Bei mir war es so, was ich auf meine damals pausenlose Nervosität zurückführe, aufgrund derer ich falsch atmete, deshalb ständigen Schwindel bekam und folglich eine veränderte Wahrnehmung meiner Umwelt entwickelte.

Und genau das ist Derealisation: eine anomale und verfremdete Wahrnehmung der Umwelt. Die Veränderung der Wahrnehmung kann unterschiedlich ausgeprägt sein. In meinem Fall war es so, dass ich organische Stoffe (Erde, Blumen, Salat, meine Hände) als viel „greller” und „lebendiger” wahrnahm, als sie meiner Meinung nach hätten sein sollen. Sie stachen mir förmlich in die Augen, was mir Angst machte, da ich noch nicht wusste, was mir fehlte. Ich begann, zu glauben, dass mir der Verstand flöten ging, dabei war alles relativ einfach zu erklären und – im Endeffekt – harmlos. Solltest du also derartige oder ähnliche Veränderungen deiner Umwelt feststellen, beschäftige dich mit Derealisation.

Ich machte mir schon vor meiner Akut-Phase viel zu viele Gedanken über Vergangenes und die Zukunft, darüber, welche Fehler ich im Zusammensein mit anderen begangen hatte, und darüber, was für Probleme mir künftig noch bevorstehen könnten. Nach dem Ausbruch meiner Angststörung stieg das Ausmaß meines Grübelns weiter an, und ich hing in einer Spirale aus negativen Gedanken fest, die mir Angst und Panik machten.

Es erstaunt mich bis heute, dass all meine körperlichen Beschwerden, die ich damals hatte, ihren Ursprung ausschließlich in meiner Psyche hatten. Hätte ich meinen Fokus nur kurz von meinem turbulenten Gedankenkarussell in die Gegenwart gelenkt, wäre mir dieser Umstand womöglich aufgefallen. Im Nachhinein ist es mir ein Rätsel, wie es sein konnte, dass ich nicht merkte, was mit mir los war. Bewusst fühlte ich mich lediglich körperlich schlecht, was wohl ein Fluchtmechanismus meiner Psyche war, die sich den ganzen Mist irgendwie erklären musste, es aber aufgrund ihres begrenzten Erfahrungsschatzes nicht adäquat vermochte.

Dr. Google, Ärzte und Diagnosen

Um zu verstehen, was mir fehlte, konsultierte ich als erstes Dr. Google, wie es heutzutage viele machen und was absolut nicht empfehlenswert ist, weil stets die schrecklichsten Krankheiten auf dem Bildschirm aufpoppen, egal welche Symptome man eintippt. Ich habe das Internet nach Übelkeit, wackeligen Beinen und Sehstörungen abgeklappert, da mir zunächst vor allem diese Symptome auffielen. Was sah ich auf meinem Bildschirm? Natürlich: Hirntumore.

Ich ging zu meiner Hausärztin, einer sehr kompetenten und geduldigen Medizinerin, aber auf die Diagnose Angststörung kam auch sie nicht. Stattdessen veranlasste die Gute einen Bluttest und gab mir eine Tablette gegen zu viel Magensäure. Weitere Symptome, wie schwitzige Hände, Herzrasen, Schwierigkeiten mit der Atmung und eine veränderte Wahrnehmung meiner Umwelt (Derealisation), bemerkte ich erst in den kommenden Wochen. Ich durchforstete das Internet erneut. Was poppte diesmal auf? Natürlich: ernsthafte Herzprobleme.

Um mir eine Zweitmeinung einzuholen, konsultierte ich eine weitere Ärztin, die Hausärztin und Spezialistin für Herzerkrankungen war. Sie nahm mir Blut ab und hatte vor, meine Schilddrüse auf eine Funktionsstörung hin zu untersuchen. Gar nicht mal so dumm, aber auch das half mir nicht.

Ich quälte mich ein paar weitere Wochen, und es ging mir schlechter und schlechter. Mein Herz raste zunehmend häufig, und mir war nach wie vor dauerschwindelig. Draußen blieb ich nie lange, weil ich Angst davor hatte, umzukippen. Das nervte nicht nur mich, sondern ich wurde auch zur Belastung für meine lebenslustige Freundin, mit der ich zusammenwohnte. Mist.

An einem Morgen, ich war aufgewacht und es ging sofort mit Herzrasen und Atemschwierigkeiten los, rief ich den Notarzt an und log ihm vor, dass ich aufgrund des Herzrasens ohnmächtig geworden sei. Ich log, weil ich vermeiden wollte, abgewiesen zu werden. Ich wollte unbedingt wissen, was nicht mit mir stimmte, und ich dachte, im Krankenhaus würde das ruckzuck gehen.

Dort angekommen, wurde mein Herz geröntgt, ich wartete ein paar Stunden, und schließlich wollten mich die Ärzte dabehalten, weil sie keine Diagnose stellen konnten und sie meine Ohnmacht beunruhigte. Also blieb ich über das Wochenende, an dem kaum ein Arzt da war, weshalb mir erneut Blut abgenommen wurde und sonst nicht viel passierte. Na ja, mir ging es mieser denn je, ich hatte abwechselnd mit Nervosität, Angst und Panik zu kämpfen, fühlte mich verlassen und weinte schließlich – es waren nicht gerade meine glorreichsten Stunden.

Alles wird wieder gut: Körper und Psyche

Markus Szaszka "Mein Freund die Angst" RatgeberAm zweiten Abend meines Krankenhausaufenthalts hielt ich es kaum noch aus, und ich fragte eine der Schwestern, ob sie nicht etwas machen könnte, weil ich die ganze Zeit derart nervös war und mich das anstrengte. Sie gab mir zwei Ein-Milligramm-Tabletten Tavor, ein Benzodiazepin (Lorazepam), das angstlösend wirkt. Ich nahm sie, schluckte sie und legte mich ins Bett.

Nach einer knappen Dreiviertelstunde war ich wie ausgewechselt. Mir ging es blendend. Ich grinste und konnte kaum damit aufhören. Mir gefiel es, im Krankenhaus zu sein, ich sah ein bisschen fern, aß etwas, spazierte die Gänge entlang, dachte an meine Familie, meine Freunde, daran, wie schön das Leben ist, und verstand die Welt nicht mehr. Körperlich ging es mir blendend, und ich hätte Bäume ausreißen können. Gleichzeitig fühlte ich mich nicht high.

Da dämmerte es mir das erste Mal. Es war gar nicht mein Körper, dem etwas fehlte, es war meine Psyche, die mich im Stich gelassen hatte.

(ENDE Kapitel 5)

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Ein unkonventioneller Ratgeber gegen deine Angst

Den polnisch-österreichischen Autor Markus Szaszka traf die Angst unvorbereitet. Sie kam aus dem Nichts und blieb. Wie ein ungebetener Gast richtete sie sich in seiner Psyche ein und veränderte sein Leben grundlegend.

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„Ein Erfahrungsbericht, irgendwo zwischen Dalai Lama und Rocky Balboa.“ – Markus Szaszka

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Autor Markus Szaszka Storyvents

Markus Szaszka (geb. 1986) ist ein polnisch-österreichischer Romancier und Essayist aus Wien und Millennial, dem die Generation Z auf den Fersen ist. Nach seinem Philosophiestudium zog es den jungen Autor nach Berlin. Dort gründete er den Autorentreff „Ring zeitgenössischer Schriftsteller“ und begann mit dem Schreiben erster Texte.

Sein Coming-of-Age-Roman Der Fuchsbau wird von der online-taz als montäglicher Fortsetzungsroman veröffentlicht. Sein ebenfalls auf taz.de geführter Blog Der Nirgendsmann resultierte Ende 2018 in einer gleichnamigen Gesellschaftskritik in 298 Seiten. Diese soll Ende 2019 verfilmt werden.

Weitere Informationen zu ihm auch auf seiner Homepage.